Das FLOW-Projekt: Fließgewässer erforschen – gemeinsam Wissen schaffen
FLOW ist ein Citizen Science-Projekt zum ökologischen Monitoring kleiner Fließgewässer. Ziel des FLOW-Projekts ist es, gemeinsam mit interessierten Bürger:innen den ökologischen Zustand kleiner Bäche zu untersuchen und zu bewerten. Mit Ihnen zusammen wollen wir folgende Fragen beantworten:
- Wie ist die Gewässerstrukturgüte (u.a. Gewässerverlauf, Uferstruktur, Gewässersohle, Strömungsbild, umgebende Landnutzung) der untersuchten Bäche ausgeprägt?
- Werden die Richtwerte für Nährstoffbelastung (z.B. durch Nitrit, Nitrat, Phosphat) in den untersuchten Bächen überschritten?
- Welche wirbellose Tiere (u.a. Köcherfliegen-, Eintagsfliegen-, Steinfliegen-, Libellenlarven, Bachflohkrebse und Wasserschnecken) kommen in welcher Häufigkeit im Bach vor und wie ist vor diesem Hintergrund die Pestizidbelastung des Baches zu bewerten?
Die mit den Teilnehmenden erhobenen Gewässerdaten fließen in ökologische Studien ein. Darauf aufbauend möchten wir zukünftig lokale und regionale Strategien zum Gewässerschutz entwickeln und mit teilnehmenden Gruppen und relevanten Akteuren vor Ort umsetzen.
Der Projekt-Flyer kann hier heruntergeladen werden. Sie finden uns auch hier auf der Plattform mit:forschen!
Projektleitung und Koordination
- Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ, Leipzig), Deutsches Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Weitere Projektpartner
- Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND e.V.): von Februar 2021 bis Januar 2024 als Projektpartner zuständig für das Community Management.
- Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU): kontinuierliche Unterstützung, insbesondere in 2021 durch Kooperation mit dem Umweltmobil „Planaria“
Projektförderung
- 02/2021 – 12/2024: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
- 07/2019 – 10/2022: Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) – Promotionsstipendium für Julia v. Gönner
Motivation
Über 90% der behördlich untersuchten Fließgewässer in Deutschland befinden sich in einem schlechten ökologischen Zustand (Umweltbundesamt, 2022). Zugleich fehlen belastbare Daten zum Zustand und zur Schadstoffbelastung kleiner Fließgewässer, d.h. Bäche mit Einzugsgebieten unter 10km2, da diese im Monitoring zur Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL, 2000) nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Viele Menschen halten sich gern an Gewässern auf, wissen aber bisher nur wenig über das Ökosystem Fließgewässer und die damit verbundenen Umweltprobleme. Andere interessieren sich sehr für den Gewässerzustand und beobachten die Bäche in ihrer Umgebung bereits regelmäßig.
Das Citizen-Science-Projekt FLOW soll dazu beitragen, gemeinsam mehr Wissen über den Zustand von Bächen zu schaffen! Wir schaffen Angebote und Austauschmöglichkeiten für Interessierte und verschiedene Akteure zum Thema Gewässerschutz.
Ziele
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Wissenschaftliche Ziele
- Erheben standardisierter, raumzeitlich umfassender Daten zum ökologischen Zustand kleiner Bäche in ganz Deutschland, um die Entwicklung des Gewässerzustands zu erfassen und das offizielle Gewässermonitoring zu ergänzen
- Aufbau eines nutzerfreundlichen Citizen Science-Datenmanagementsystems (Web-Applikation)
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Bildungs- und partizipationsbezogene Ziele
- In Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen und Umwelt- und Angelverbänden: Stärken des gesellschaftliches Bewusstsein für die Bedeutung, den Zustand und den Schutz von Fließgewässern
- Fördern von Wissen und Fähigkeiten zum Fließgewässermonitoring durch ansprechendes Lernmaterial, praktische Schulungen und Erfahrungsaustausch zwischen Teilnehmenden, Wissenschaftler:innen und Expert:innen
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Gewässerschutz-Ziele (perspektivisch)
- Zusammenarbeit mit kommunalen Umweltämtern und Wasserbehörden, Landesämtern für Umwelt und dem Umweltbundesamt, um Citizen Science-Daten für behördliche Studien und Berichterstattung nutzbar zu machen
- Gemeinsames Planen und Umsetzen konkreter Maßnahmen zur naturnahen Entwicklung von Bächen gemeinsam mit Teilnehmenden, Verbänden, Behörden und Flächenverantwortlichen vor Ort
Methoden
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Bewertung des Gewässerzustands nach EU-Wasserrahmenrichtlinie
- Beurteilung der Gewässerstrukturgüte nach Vorgaben der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA, 2019). Es werden alle sechs Hauptparameter der Gewässerstruktur nach LAWA (Laufentwicklung, Längsprofil, Querprofil, Sohlstruktur, Uferstruktur, Gewässerumfeld) mit ihren Einzelparametern erfasst. Zur Indexberechnung wird der Gewässertyp der Probestellen ermittelt.
- Punktuelle Messung chemisch-physikalischer Parameter (z.B. Ammonium, Nitrit, Nitrat, Phosphat, Wassertemperatur, Sauerstoffgehalt, pH-Wert, Ionenleitfähigkeit) mit kolorimetrischen Testkits bzw. Messgeräten.
- Standardisierte Makrozoobenthos-Beprobung inklusive Multi-Habitat-Sampling. Dazu werden im 100m Probeabschnitt zunächst alle Sohlsubstrate kartiert, dann werden insgesamt 20 Kicksampling-Proben mit dem Kescher genommen (anteilig auf vorkommende Substrate verteilt). Die Individuen werden aus dem organischen Material heraussortiert und lebend vor Ort bis zur Familienebene bestimmt.
- Analyse der Belastung der Probestellen durch Pflanzenschutzmitteleinträge mit Hilfe des Biondikators SPEAR (SPEciesAtRisk, vgl. www.ufz.de/index.php). Bei SPEARpesticides handelt es sich um einen Bioindikator, der Makroinvertebraten anhand bestimmter ökologischer Merkmale klassifiziert und dadurch den Anteil pestizidempfindlicher Arten an einer Probestelle ermittelt. Die so ermittelte Artenzusammensetzung gibt Aufschluss über das Ausmaß der Belastung der Probestellen durch Einträge agrochemischer Substanzen.
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Kriterien zur Auswahl der Probestelle (Bach)
- Größe des Einzugsgebiets oberhalb der Probestelle max. 30km2, Anhaltspunkt: Breite des Bachs durchschnittlich 0,5 bis 2m
- Umgebung der Probestelle: naturnah (Wald, Wiese) oder landwirtschaftlich geprägt (Äcker, Weiden)
- deutlich erkennbare Fließgeschwindigkeit (mind. 0,1 m/sec), bitte KEINE Stehgewässer oder häufig trockenfallenden Bäche!
- Gewässergrund erlaubt Vorkommen wirbelloser Tiere "Makrozoobenthos", ggf. Probekeschern (Probestelle mit vollständig betoniertem Gewässergrund ist ungeeignet!)
- möglichst keine Kläranlagen oder andere Punktquellen oberhalb der Probestelle
- Bäche in Stadtgebieten können beprobt werden, fließen aber ggf. nicht in unsere Studien ein, da wir insbesondere den Zustand von Bächen in naturnahen und landwirtschaftlich genutzten Gebieten untersuchen.
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Projektablauf
- Januar-März: Online- und Präsenzschulungen für Gruppenleiter:innen, Bereitstellung kostenfreier Lern- und Feldmaterialien. Darauf basierend Vorbereitung der Freiwilligengruppen vor Ort.
- April – Anfang Juli: Jährliche bundesweite FLOW-Feldsaison zur Gewässerbewertung. Monitoringeinsätze vor Ort werden von teilnehmenden Gruppen selbst organisiert (mit Unterstützung durch das FLOW-Team).
- Oktober/November: Jährliche Projektkonferenz zur Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse
Kooperation mit MERLIN
Das MERLIN-Projekt ist ein von der EU-finanziertes Verbundprojekt zur ökologischen Wiederherstellung von Gewässerökosystemen unter der Leitung der Universität Duisburg-Essen.
Ziel von MERLIN ist es, innovative und effektive Lösungen zur Wiederherstellung der Ökosystemfunktionen von Gewässerökosystemen zu identifizieren und umzusetzen. So sollen beispielsweise der Biodiversitätsschutz, der Hochwasserrückhalt und die Kohlendioxidspeicherung durch Gewässerökosysteme gefördert werden.
Citizen Science-Projekte wie FLOW bieten großes Potenzial, neben dem Monitoring des Gewässerzustands auch die Wiederherstellung von Fließgewässern zu unterstützen.
In einer Machbarkeitsstudie untersuchen wir daher, wie bestehende Citizen Science-Ansätze zum Monitoring von Gewässerrenaturierungs-Maßnahmen genutzt und angepasst werden können. Wir erarbeiten einen praktischen Leitfaden zur Planung und Umsetzung niedrigschwelliger Gewässerrenaturierungs-Maßnahmen durch engagierte Bürgergruppen. Je nach Gewässertyp und -zustand, umgebender Landnutzung und Belastungsfaktoren bieten sich dazu z.B. Uferbepflanzungen mit standorttypischen Gehölzen oder das Einbringen von Kies oder Treibselsammlern an. Zur fachgerechten Planung und Umsetzung solcher Maßnahmen ist eine gelingende Zusammenarbeit zwischen lokalen Freiwilligengruppen, Verbänden, Behörden und Flächeneigentümern essenziell.
Der Umsetzungsprozess braucht Zeit und Fachexpertise, um geeignete Standorte und Maßnahmen auszuwählen, die von allen Beteiligten akzeptiert werden. Im weiteren Verlauf können die ausgewählten Maßnahmen dann basierend auf den lokalen Monitoringergebnissen weiter optimiert und an die Standortbedingungen angepasst werden.
Einbringen von Kies (Abb. links) erhöht die Substratvielfalt, reduziert die Erosion der Gewässersohle und führt zu einer dynamischen Neustrukturierung des Gewässerquer- und Längsprofils. Treibselsammler (Abb. rechts) fördern den Rückhalt von organischem Material und unterstützen die Wiederherstellung natürlicher Ufer- und Sohlstrukturen. Fotos: Roland Bischof
Mitmach-Aktion #unsereFlüsse 2024
Von Mai bis Ende September 2024 führen wir als Team vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ Leipzig gemeinsam mit der ARD eine bundesweite Mitmach-Aktion zum Thema #unsere Flüsse durch. Ziel der Aktion ist es, möglichst viele Menschen mit einem niedrigschwelligen Mitmach-Angebot zum Beobachten und Melden der Lebensraumqualität ihrer Bäche zu motivieren. Dazu haben wir einen kurzen Online-Fragebogen entwickelt. Dabei handelt es sich um eine stark vereinfachte Version des FLOW-Protokolls zur Gewässerstruktur-Bewertung.
Verschiedene Umweltverbände, des Umweltbundesamt, das Bundesamt für Naturschutz, der Deutsche Angelfischerverband (DAFV), die Pfadfinder, Omas for Future und viele weitere Organisationen unterstützen unseren Aufruf zur Teilnahme. Aktuell (Mitte August 2024) haben wir bereits über 2300 Einsendungen aus ganz Deutschland erhalten.
Zusammenhang FLOW-Projekt und Mitmach-Aktion
Die diesjährige, zeitlich begrenzte ARD-Mitmach-Aktion ist ein Einsteigerprogramm zur Umweltbildung im Bereich Fließgewässer für alle, die spontan mitmachen möchten. Ziel der Aktion ist es, das öffentliche Bewusstsein für unsere Bäche noch weiter zu stärken und hoffentlich auch politische Unterstützung für eine weitere Förderung des FLOW-Projekts zu gewinnen. So können wir auf das FLOW-Projekt aufmerksam machen, mit dem wir wissenschaftlich standardisierte Daten erheben. Wir hoffen, so auch weitere Freiwillige zu gewinnen, die vielleicht im nächsten Jahr am FLOW-Projekt teilnehmen möchten.
Das FLOW-Projekt ist unser langfristig angelegtes Citizen Science-Projekt, mit dem der ökologische Zustand umfassend untersucht wird. Die Ergebnisse Ihrer FLOW-Gewässeruntersuchungen gehen weiter in wissenschaftliche Studien ein. Wir bemühen uns u.a. durch die Mitmachaktion zurzeit aktiv um eine langfristige Förderung und Verstetigung des FLOW-Netzwerks, um gemeinsam Wissen zu schaffen!
Die Ergebnisse der Mitmachaktion werden im Herbst 2024 in verschiedenen Presseberichten und im Oktober 2024 in einer ARD-Doku vorgestellt.
Hintergrund
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Zustand und Belastungen kleiner Fließgewässer
Kleine Bäche und Gräben machen rund 65 Prozent des Fließgewässernetzes in Deutschland aus. Aufgrund ihrer vielfältigen Strukturen bieten sie Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten. Als ökologische Hotspots leisten sie dabei wichtige Ökosystemfunktionen: Der Erhalt der Artenvielfalt, der Abbau von organischem Material, die Reinigung des Wassers und der Wasserrückhalt in der Landschaft, die Naherholungsfunktion. Gleichzeitig unterliegen die kleinen Fließgewässer einer Vielzahl von Belastungen. Eingriffe in die Gewässerstruktur, Stoffeinträge aus landwirtschaftlichen und urbanen Quellen sowie die Klimaveränderungen sind wesentliche Belastungsfaktoren, welche den morphologischen, den physiko-chemischen und den biologischen Zustand von Bächen in vielen Fällen verschlechtern.
Um Fließgewässer-Belastungen zu reduzieren, wurde im Jahr 2000 die europäische Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL 2000) verabschiedet. Darin werden alle EU-Mitgliedsstaaten angehalten, alle ihre Oberflächengewässer bis spätestens 2027 einen guten chemischen und ökologischen Zustand zu versetzen. Zur Überwachung wurde ein deutschlandweites Monitoringnetz aufgebaut. Gleichzeitig befinden sich immer noch über 60% der Flüsse in Europa und über 90% der Flüsse in Deutschland in einem schlechten ökologischen Zustand. Außerdem werden kleine Fließgewässer mit einem Einzugsgebiet kleiner als zehn Quadratkilometer im WRRL-Monitoring nicht erfasst.
Um diese Wissenslücke zu füllen, wurden 2018 und 2019 im Rahmen des Nationalen Kleingewässermonitoring (KgM) über hundert Bäche in ganz Deutschland untersucht. In einem intensiven Monitoring wurden Pestizid- und Nährstoffkonzentrationen gemessen, die Gewässerstruktur kartiert, physikalisch-chemische Parameter aufgenommen und die Gemeinschaft wirbelloser Tiere (Makrozoobenthos) untersucht.Im Ergebnis zeigte sich, dass Pflanzenschutzmitteleinträge der bedeutendste Belastungsfaktor für die Makrozoobenthos-Gemeinschaften in kleinen, landwirtschaftlich geprägten Fließgewässern sind. Trotz bestehender Regulationen wurden die sogenannten „regulatorisch akzeptablen Konzentrationen“ (RAK) durch Pflanzenschutzmittel an über 80 Prozent der Messstellen überschritten. Und selbst bei niedrigeren Konzentrationen konnte bereits eine Abnahme der Diversität und Anzahl vulnerabler Arten beobachtet werden.
Die Auswertung des FLOW-Monitorings 2021-2023 bestätigte diese Ergebnisse. Hier geht’s zur Originalstudie auf Englisch und hier finden Sie eine Zusammenfassung der Ergebnisse auf Deutsch. -
Einfluss von Pflanzenschutzmittel-Einträgen auf Makrozoobenthos-Gemeinschaften
Vielzählige Labor- und Freilanduntersuchungen belegen, dass Pflanzenschutzmitteleinträge in Fließgewässer Auswirkungen auf aquatische Artengemeinschaften haben. Etwa 40 Prozent der im Wasser lebenden wirbellosen Tierarten sind besonders empfindlich gegenüber Pflanzenschutzmitteln. Diese Arten zeichnen sich durch eine hohe Sensitivität und Expositionswahrscheinlichkeit sowie eine geringe Migrationsfähigkeit und ein geringes Vermehrungspotenzial aus.
Bei erhöhten Pestizidkonzentrationen verschwinden diese empfindlichen Arten, wie z.B. bestimmte Familien innerhalb der Köcherfliegen, Eintagsfliegen, Steinfliegen und Libellen, und das Vorkommen unempfindlicher Arten wie z.B. Würmer und Schnecken nimmt zu.
Diese Veränderungen der Artengemeinschaft können mit dem Bioindikator SPEARpesticides erfasst werden. Der Indikator wurde von Prof. Matthias Liess am UFZ entwickelt und beschreibt den Anteil der gegenüber Pflanzenschutzmitteln empfindlichen Arten im untersuchten Gewässerabschnitt. Je höher dieser Anteil, und damit der SPEAR-Wert ist, desto geringer ist die Belastung mit Pflanzenschutzmitteln. Mit dem SPEARpesticides Indikator lassen sich somit über die Zusammensetzung der Makrozoobenthos-Gemeinschaften Rückschlüsse auf die Belastung von Fließgewässern durch Pflanzenschutzmittel ziehen.